Wir starten heute mit einer kleinem Wanderung zum Leuchtturm von Ekkerøy. Die Vesper ist vorbereitet, der Rucksack gepackt und die Wanderschuhe geschnürt. Durch das Tor neben Ragnar geht es vorbei an einer Herde Schafe im Richtung der Felsen. Miri muss sich natürlich in üblicher Manier mit ihnen „unterhalten“ und ich ermahne sie: „Nicht, dass die Schafe noch mitkommen wollen“. Die schauen uns allerdings nur fragend an, erwidern ein lautes „Määäh“, aber lassen uns weiterziehen. Sie wissen warum: Ein paar 100 Meter weiter endet der mit 6,1 km ausgezeichnete Weg. Eine Felswand, Gesteinsbrocken und das Meer, keine Anzeichen eines Weges. Wir ziehen also die Wanderapp zu Rate und stellen fest: Der Ausgangspunkt der Wanderung liegt oberhalb unseres Parkplatzes. Also zurück zu Ragnar und alles auf Anfang. Vorher müssen wir allerdings einen Nachzügler der Schafherde noch von einem Suizid abhalten, denn er hat wohl den Anschluss verpasst und steht jetzt „schimpfend“ an der Klippe.
Nachdem wir den richtigen Einstieg gefunden haben, geht es vorbei an Hinterlassenschaften aus dem 2. Weltkrieg, in Richtung des Vogelfelsens. Ehemalige Bunkeranlagen und Geschützstellungen säumen den Weg und wir fragen uns, wie es wohl damals im Krieg war in dieser Kälte und dem Feind gegenüber!? Wir ziehen weiter, unser Ziel immer vor Augen- das Leuchtfeuer von Ekkerøy. Darunter befindet sich, der bei Ornithologen beliebte Vogelfelsen. Hier nisten in der Hochsaison bis zu 20.000 Dreizehenmöwen und 50 weitere Vogelarten, darunter auch Kormorane und Weißschwanzadler. Allerdings scheinen die ganzen Vögel entweder unterwegs zu sein oder sich gut zu verstecken, denn außer ein paar, über uns kreisenden, Möwen sehen wir nichts. Als wir an der Holzbarke bzw. dem Leuchtfeuer ankommen, setzen wir uns in die Sonne und genießen den Blick auf das offene Meer. Bevor wir den Rundweg fortsetzen, verputzen wir noch unsere Vesper und tragen uns ins Turbok, dem Besucherheft, ein. Ein Brauch in Norwegen und Schweden und schöner anzusehen als Aufkleber, die an den unmöglichsten Stellen platziert werden.
Wir verlassen das Plateau auf dem wir die ganze Zeit gelaufen sind. Der Weg führt jetzt am flach abfallenden Strand entlang durch Heben und Gras. Wir passieren Infotafeln, auf denen erläutert wird, was es hier zu sehen gibt: Vögel, Robben, Wale und vieles mehr. Anscheinend nur nicht heute! Auf dem Moos läuft es sich wie auf Wolken und wir sind versucht barfuß weiter zu gehen, verzichten dann aber doch beim Blick auf die Schafs- und andere Küttel. In der Hoffnung doch noch einen Adler oder eine Robbe am Strand zu sehen, machen wir zwischendurch noch mal kurz Pause auf einem Baumstamm am Wegesrand. Aber außer einem düster dreinschauenden „angry bird“ bekommen wir nichts vor die Linse. Schade, die Vogelinsel macht ihrem Namen heute keine Ehre.
Die letzten Meter sind beschwerlich und Miri hat im Internet etwas von einem kleinen Museumscafé im Hafen gelesen. Also beenden wir den Weg nicht wie vorgeschlagen, sondern laufen weiter in den Ort. Das Museumscafé ist in einer alten Fischfabrik untergebracht, in der früher Lebertran hergestellt wurde. Leider ist es genauso ausgestorben, wie der Vogelfelsen und wir müssen unverrichteter Dinge weiterziehen. Bis zu Ragnar sind es zum Glück nur noch ein paar Meter, denn die Beine sind mittlerweile schwer wie Blei. Irgendwie schaffen wir es immer aus Strecken mit 6 dann doch 8 oder 10 Kilometer zu machen. Wir müssen aber auch dringend an unserer Kondition arbeiten. Da die Sonne immer noch vom Himmel lacht, packen wir unsere Stühle aus und planen unsere Weiterfahrt.
Das heutige Ziel sollte eigentlich die Insel Vardø sein, bekannt für seine Hexenprozesse und wunderschöne Natur. Da man Varanger aber nicht mit dem PKW umrunden kann und wir den gesamten Weg wieder zurück müssen, entschließen wir uns, heute die Sackgasse bis Hamningberg zu nehmen. Auf dem Weg passieren wir das Kittiwake Hotel in Kiberg: Kitti-was? Kittiwake ist die englische Bezeichnung für die Dreizehenmöwe, also die Möwe, die sich uns vorhin schon nicht gezeigt hat. Das Hotel ist hier nämlich genauso ausgestorben, wie der Felsen auf Ekkerøy. Lediglich am Strand scheint eine Möwenparty stattzufinden.
Es geht weiter Richtung Norden. Wir lassen den Hexenberg Domen und Vardø rechts liegen und passieren das Tor in eine andere Welt. Ein Schild weist explizit darauf hin, vorsichtig und bitte langsam zu fahren! Die enge Straße schlängelt sich durch eine Mondlandschaft: schroffe, kantige und schieferartige, dunkelgraue Felsen. Es wirkt wirklich, als ob man auf einem anderen Planeten wäre. Zwischendurch saftiges Grün und weidende Schafe, rechts das tosende Meer. In den Mooren sammeln Norweger die beliebten Moltebeeren. Ich möchte auch welche kosten, aber Marco ist hoch-konzentriert und fährt weiter. Vielleicht habe ich ja auf dem Rückweg Glück. Immer wieder bricht sich der Weg durch die kantigen Felsen. Wir fahren über nicht einsehbare Kuppen und treffen auf freche Schafe, denen die Straße gehört. Zum Glück ist hier, am Ende der Welt, nicht mehr viel los. Im Sommer ist das wahrscheinlich anders. Denn in dieser Einsamkeit wohnt zwar niemand mehr, aber es gibt viele Ferienhäuser – mit allem (Sauna, Whirpool, Polarlichtiglu), was das Herz begehrt, außer einer Tankstelle oder einem Supermarkt.
Diese atemberaubende Strecke zieht sich über 30 Kilometer und wir brauchen über eine Stunde, bevor wir im verlassenen Fischerdorf Hamningberg ankommen. Nordöstlicher geht es in Norwegen nicht mehr. Viele der Holz-Häuser hier stammen aus Russland. Da hier oben im Polargebiet nicht viel Holz zur Verfügung stand, war es damals wirtschaftlicher die Häuser aus Russland zu importieren. Im Gegenzug verkaufte man den Russen Fisch. Hamningberg stand, wie vieles in der Finnmark, unter deutscher Besatzung, bis die Russen nahten. Allerdings, so sagt man, war die Angst vor ihnen hier wohl so groß, dass das Essen noch auf dem Herd köchelte, als sie eintrafen. Und so ist Hamningberg von Verwüstungen verschont geblieben. In den 1960ern verließen jedoch die letzten Einwohner den Ort, da es der Regierung zu kostenintensiv war, ihn zu erhalten.
Wir suchen uns einen Stellplatz etwas außerhalb des Ortes, am felsigen Strand und machen es uns in der Sonne bequem. Unser Blick schweift über das Meer und wir halten Ausschau nach den Rentieren, die hier im und um den Ort leben sollen. Aber auch die zeigen sich heute nicht. Der Wildtier-Sichtungszähler bleibt also eingefroren. Genauso eingefroren wie wir, denn der Wind ist eisig. Kein Wunder, denn wir befinden uns gerade im arktischen Klimagebiet. Aber keine Angst, mit Eisbären müssen wir hier nicht rechnen.
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