Es trappelt vor Ragnar. Wer läuft denn bitte um unseren Van? Ich öffne die Rollos und staune nicht schlecht, da grasen tatsächlich Rentiere. Das ist mal eine schöne Frühstücksüberraschung. Bevor wir die letzten 100 Kilometer in Angriff nehmen, beobachten wir noch den Trubel auf dem Platz und erfüllen unsere Camperpflichten.
Der Wetterbericht hat nicht zuviel versprochen, die Sonne lacht mal wieder vom Himmel und wir fahren Richtung Honningsvåg. Erstmal geht es aber durch den 6,8 km langen Nordkapptunnel. Es geht steil bergab und bis zu 212 Meter unter den Meeresspiegel. Als wir in den Tunnel einfahren, sehen wir ein Postschiff im Fjord. Ob es auch nach Honningsvåg will? Die Antwort lautet: „Ja“, denn kurz nachdem wir uns den Hafen und den kleinen Ort, der hauptsächlich von Kreuzfahrtgästen bevölkert wird, angeschaut haben, legt es an. „Irgendwann“, da sind wir uns einig, dürfen wir auch mal eine Winterkreuzfahrt mit den original Hurtigruten machen.
Nach einem kurzen Einkauf geht es weiter. Nur noch wenige Kilometer trennen uns von unserem (Zwischen)-Ziel. Vor vier Jahren haben wir schon mal einen Versuch gestartet, bei Tromsø jedoch abgedreht. Auch hier geht es vorbei an Fjorden mit roten Häuschen, hohen Felsen und ganz vielen Rentieren. Wir passieren die Convoy-Sammelstelle für den Winter und kämpfen uns neben Motorrädern, Radfahrern und Wanderern, bergauf zum Hochplateau des Nordkaps. Allerdings zieht gerade dichter Nebel über die Straße. „Wird wohl doch nichts mit Sonne am Kap!?“ Aber die Sonne setzt sich durch und auch der Nebel kann unserer gute Laune nichts anhaben. Wie es wohl im Winter hier ist? Die Straßen weiß, glatt und die Fahrt nur im geleiteten Convoy erlaubt. Das ist bestimmt ein noch größeres Abenteuer, aber uns reicht gerade unser kleines!
Und dann lichtet sich der Nebel und das Nordkapp liegt vor uns: 71° 10′ N, 25° 47′ O. Also zuerst mal der Parkplatz, für den wir 180 NOK berappen durften. Immerhin, 5 Stunden dürfen wir dafür hier stehen bleiben. Gerne hätten wir Ragnar so geparkt, dass im Hintergrund der berühmte Globus sichtbar ist, aber es ist gerade viel los. Die Busse der Kreuzfahrtschiffe haben ihre Gäste abgeladen und es sind auch einige Camper da. Also parken wir etwas weiter weg und genießen erstmal den Blick auf die umliegenden Felsen, den Nebel, der sich unten auf dem Meer niedergelassen hat und freuen uns einfach hier zu sein.
Und während wir unseren Blick schweifen lassen und ein Gefühl von „Geschafft“ in uns hochkommt, fragen wir uns natürlich wer diesen Ort entdeckt und zum nördlichsten Punkt des Europäischen Festlandes auserkoren hat? Was, genau genommen gar nicht stimmt, denn zum Einen liegt das Nordkapp auf einer Insel und zum Anderen liegt die Spitze der Nachbar-Halbinsel Nordkyn etwas weiter nördlich. Sie ist aber wahrscheinlich nicht so spektakulär und touristisch erschlossen wie das Nordkapp.
Achja, wir schweifen ab! Die Antwort lautet: Der englische Seefahrer Richard Chancellor hat diese einzigartige Landzunge auf der Suche nach einer Nordost-Passage nach China als „North Cape“ benannt. Natürlich lebten hier schon seit Tausenden von Jahren die Sami und das Kapp war nicht gänzlich unbekannt. Seit dem 14. Jahrhundert gab es auf der Insel Magerøya mehrere kleine Gemeinschaften von norwegisch sprechenden Fischern, und sie nannten das Kap Knyskanes.
Nachdem die Kreuzfahrtmassen abgenommen haben, spazieren wir erst über das benachbarte Plateau, mit Sicht auf den Globus. Es ist beeindruckend, wie steil die Felsen ins Meer reichen.
Der erste benannte Tourist hier war übrigens Francesco Negri, ein italienischer Priester im Jahr 1664. Ihm folgten viele Adlige, wie der beliebte König Oskar II. von Schweden und Norwegen, der zu seinem Besuch 1873 feierlich die „Oskar-Säule“ enthüllte. Oder der König von Siam, der 1907 das Nordkapp besuchte und seine Signatur in einem Felsen hinterließ. Dieser Felsen steht heute in den Nordkapphallen und ihm zu Ehren wurde dort auch ein kleines „Museum“ errichtet. Auch der Deutsche Kaiser Willhelm II. war bekennender Nordkapp-Fan.
Wir laufen weiter zum „Globus“ und versuchen das obligatorische Foto ohne andere Touristen zu machen. Das läuft hier eigentlich recht geordnet ab. Die meisten nehmen Rücksicht, jeder stellt sich einmal an oder übernimmt das „Foto-Schiessen“ für den anderen. Und so kommen auch wir, dank eines jungen Pärchens, zu unserem gemeinsamen Foto.
Danach geht es noch zum Denkmal der „Kinder der Welt“, welches 1989 hier aufgestellt wurde. Es wurde von und mit Kinder aus aller Welt gestaltet und zeigt eine Mutter mit Kind, die auf sieben kreisrunde Reliefs zeigt. Die Vorlagen für die sieben Reliefs wurden im Juni 1988 von sieben Kindern unterschiedlicher Nationen angefertigt und sollen Freundschaft, Zusammenhalt, Hoffnung und Freude, über alle Grenzen hinweg darstellen.
Achja, die Nordkapphallen: Sie sind ganzjährig geöffnet, weit bis in die Nacht hinein und hier erfährt man, in teils kuriosen Ausstellungen, etwas mehr über die Geschichte des Nordkapps. Man sieht den Wandel des Kapps über verschiedene Jahreszeiten in einem ca. 15 minütigen Dokumentarfilm, kann die Johanniskapelle besuchen oder durch einen kleinen Tunnel hinab zum „Kings-View“ steigen. In den Hallen befinden sich auch Café, Postkasten und Souvenierladen. Allerdings hat der Eintritt, den man bezahlen muss, einen bitteren Beigeschmack: 350 NOK pro Person, selbst wenn man nur eine Postkarte kaufen und abschicken oder eine Kaffee trinken möchte. Ja, richtig gelesen, um Geld ausgeben zu können, muss man am Nordkapp Geld ausgeben. Ob wir diesem Absurdum gefolgt sind… seht selbst!
Wir haben unsere 5 Stunden Parkzeit fast aufgebraucht und machen uns auf den Weg zurück Richtung Honningsvåg. Es geht erneut durch die wunderschöne Landschaft, mit Rentieren und Seeadler am Wegesrand. Unser Wildtiersichtungs-Zähler explodiert übrigens in der Kategorie Rentiere. An einem Parkplatz auf einem Plateau mit Ausblick auf den Tufjorden finden wir unseren Übernachtungsplatz. Umgeben von Rentieren lassen wir den erlebnisreichen Tag hier ausklingen und uns vom Wind in den Schlaf schuckeln.
Morgen geht es dann langsam wieder in Richtung Süden, langsam, ganz langsam!

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