Wir hatten eine ruhige Nacht. Bis auf ein komisches Elch-Muuuuuh bevor wir schlafen gingen, gab es keine Vorkommnisse. Heute lassen wir es erst einmal langsam angehen. Bis der Blog fertig ist, das Frühstück serviert und Ragnar wieder auf Vordermann gebracht wurde, ist es 11:00 Uhr. Achja, heute ist auch noch Haar-Waschtag: draußen, bei den Mücken, in der Kälte – Vanlife ist eben Abenteuer!
Langsam füllt sich der Wanderparkplatz mit Finnen. Wir stehen am Ausgangspunkt des „Vaattunkiköngäs“ im Arctic Circle Wandergebiet. Hier gibt es zwischen Kiefernwäldern und Mooren, die Stromschnellen des Raudanjoki, Hängebrücken und schöne Aussichtspunkte. Die Wanderungen gehen von „leicht“ bis „schwer“ und sind sogar kinderwagen- und rollstuhlgerecht. Wir wollen heute noch ein gutes Stück fahren und drehen daher nur die kleine Runde. Ein wirklich liebevoll gestalteter Rundweg erwartet uns. Auf Holzbohlen geht es durch den Wald, vorbei an Aussichtspunkten, toll gestalteten Infotafeln und mit Grill- und Picknickplätzen!
Zufrieden setzen wir unsere Fahrt Richtung Inari fort. Kurz hinter Rovaniemi macht Marco auf freier Strecke eine Vollbremsung. Zuerst dachte er, es handelt sich um einen Radfahrer. Falsch gedacht: es ist ein junges Rentier, das uns am Wegesrand entgegenläuft. Ich kann gerade noch das Handy zücken und ein unscharfes Foto von seinem Hinterteil machen. Wildtiersichtungen +1, nein +2, +3, +4 … überall laufen oder grasen Rentiere. Wir freuen uns wie kleine Kinder über diese tollpatschigen Gesellen und der Elch-Frust ist fast verflogen.
Gegen 14:00 Uhr verspüren wir ein kleines Hüngerchen und Kaffeedurst. Im Potkuriparkki, einer Mischung aus Café und Souvenierladen, halten wir an. Auch hier kommen uns drei Rentiere mit beeindruckendem Geweih entgegen, lassen sich aber nicht ablenken und traben auf die E4. Im Lokal sitzen ein paar Einheimische und genießen ihre Suppe. Ich kann nicht anders und bestelle mir eine „Lohikeittoa“, eine traditionell, finnische Lachssuppe mit Karotten, Kartoffeln und Lauch. Marco ist skeptisch und bleibt beim Schinkenbrötchen und Kaffee. Nachdem ich ihn aber überreden kann, probiert er doch und wärmt sich an der leckeren Suppe. Zum Nachtisch gibt es dann noch einen Pfannkuchen mit selbstgemachtem Moltebeeren-Gelee. Ich würde sagen: Der kleine Exkurs in die Finnische Küche ist gelungen. Rentier möchte ich dennoch nicht unbedingt probieren.
Weiter geht es die E4 entlang Richtung Inari. Wir treffen immer wieder auf Rentiere und passieren einen See nach dem anderen. Hinter der Goldgräber-Stadt Tankavaaraä geht es plötzlich bergauf. Die Landschaft verändert sich mal wieder. Es wird hügelig, die saftigen Birkenwälder sind wieder von Kiefern durchsetzt und zwischendrin liegen riesige Geröllbrocken. So langsam muss ich mich um einen Stellplatz für die Nacht kümmern. Wir finden einen Platz abseits der Straße an einem kleinen See. Hier stehen schon zwei Dänen, mit ihrem Peugeot und essen zu Abend. Während ich das Gemüse für einen wärmenden Bauerntopf schnippel, beobachte ich das Treiben um deren Auto. Es werden Moskitonetze über die Scheiben gezogen, Sichtschutz an den Türen angebracht und schließlich ziehen die beiden sich um und verschwinden in ihrem Nachtlager. Ich muss immer wieder staunen, wie manche Menschen reisen. Sie brauchen keinen Bus, keinen Camper- da wird einfach das Auto umfunktioniert. Ganz ohne Komfort, ohne Bad, Heizung oder (Not)- WC! Bewundernswert- vor allem, weil die Temperaturen heute Nacht gegen Null gehen sollen. Ich könnte Ihnen unsere Wärmflaschen anbieten, aber das wäre wahrscheinlich übergriffig.
Nach dem Essen vibriert mein Handy. Die Aurora-Warnapp meldet sich! Ich wundere mich, habe ich doch beim Essen beiläufig erwähnt, dass es heute sternenklar wird und vielleicht Chancen auf Polarlichter bestehen! Ein dummer Zufall oder ein Zeichen?! Wir stehen eigentlich am perfekten Ort: Kein Umgebungslicht und Blick nach Norden. Aber der kp- Wert liegt nur bei 0,67 und sich deshalb die Nacht um die Ohren schlagen? Die Antwort lautet: JA! Ich lungere vor dem Fenster, wie ein kleines Kind, das dem Weihnachtsmann auflauert. Checke regelmäßig die Chancen in der App und frage mich frustriert, warum Andere in unserer Nähe Sichtungen melden. Da tut sich rein gar nichts. Rausgehen möchte ich auch nicht, denn es ist ziemlich frostig. Während Marco sich im Bad bettfertig macht, verkrieche ich mich ins Bett und schaue durch das hintere Fenster ins Dunkle. Ich gebe der Sache noch eine Chance und plötzlich springe ich hektisch aus dem Bett: Da tanzen tatsächlich, hell-grün leuchtend und mit bloßem Auge erkennbar, Polarlichter am Himmel. Schnell die Jacke übergeworfen, Marco aus dem Bad gezerrt, die Kamera geschnappt und ab in die Kälte! Wie schön ist das bitte? Die Aurora tanzt über Ragnar, spiegelt sich in dem kleinen See und ich zittere vor Aufregung (und Kälte) so sehr, dass meine Bilder unscharf werden. Zum Glück ist der Polarlicht-Skeptiker neben mir weniger emotional und so könnt ihr auch in den Genuss der Aufnahmen kommen.
Das Spektakel ist zwar schnell wieder vorbei, aber die Erinnerung und Hoffnung auf mehr bleiben. Ich erkläre diesen Tag hiermit für erfolgreich! Morgen geht es in den richtig rauen Norden nach Varanger, dann gibt’s hoffentlich noch mehr Rentier- und Polarlicht- Spam!
Wildtier-Sichtungs-Zähler: 1-11-1-2-18-1 (Elch-Reh-Fuchs-Hase-Rentier-Eichhörnchen)
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