Nach den tollen Erlebnissen haben wir seelig geschlafen. Aber wer stellt bitte seinen Samstag-Wecker auf 5:30 Uhr!? Jetzt sind wir wach- also stehen wir langsam auf und starten in den Tag. Heute wollen wir Finnland verlassen und auf die Varanger-Halbinsel im Norden Norwegens. Es sind 6 Grad und es regnet. Nebel liegt über unserem See und kündigt den Herbst an.
Hinter Inari, mit einem kurzem Blick auf den Inarisee, der übrigens der drittgrößte See Finnlands ist, biegen wir links ab nach Karigasniemi ab. Ich habe irgendwo gelesen, dass sich abseits der E4, genauer gesagt zwischen Karigasniemi und Utsjoki, eine der schönsten Straßen Finnlands befinden soll. Also schauen wir mal, ob da was dran ist.
„Wer will noch mal, wer hat noch nicht!“ – wir haben das Gefühl in einer Achterbahn zu sitzen. Die ewig langen, gerade Straßen sind wir aus Lappland mittlerweile gewohnt. Aber das hier erinnert an eine Achterbahnfahrt. Es geht hoch und runter, hoch und runter, steil bergab und steil bergauf. Es fehlt nur noch ein Looping. Ansonsten Grün, soweit das Auge reicht, durchsetzt mit kleinen Seen. Irgendwann erscheinen die ersten Berge am Horizont, bevor es runter nach Karigasniemi geht.
Dort biegen wir 200m vor der norwegischen Grenze rechts ab und fahren am Tanaelva entlang, dem finnisch-norwegischen Grenzfluss, bis nach Utsjoki. Die Tanaelva erinnert an Rhein oder Mosel. Ein breiter Strom, der sich durch die Landschaft schlängelt. Wer gerne Lachs isst, hat hier die beste Möglichkeit sich ein Exemplar zu fangen. Denn die Tana ist einer der weltweit besten Fischgründe für Lachse. 36 kg wog das schwerste Exemplar, das 1929 in der Tana gefangen wurde. Wir haben keine Angel dabei. Aber eine Kaffeemaschine und als wir eine Bucht mit schöner Aussicht sehen, halten wir spontan an, packen unsere Stühle aus und genießen die Sonne und die traumhafte Aussicht. Der Himmel ist so blau, wie das Wasser der Tana. Wir sitzen fast neben der Straße, aber es herrscht absolute Ruhe- kein Auto, kein Motorrad. Wir könnten hier bleiben, aber das Fernweh (und der nicht vorhandene Zeitplan) lassen uns weiterziehen.
Auf der Strecke bis Utsjoki gibt es nur wunderschöne Landschaft und herrlichen Sonnenschein zu sehen. Die Vegetation verändert sich wieder und ist eine Mischung aus Kiefern, Birken, Gesteinsbrocken und Dünen. Und immer wieder öffnet sich der Blick auf die Tana. Ab und zu tanzt ein Rentier unentschlossen vor uns her, was zur allgemeinen Belustigung beiträgt!
Utsjoki ist die nördlichste Gemeinde Finnlands und die einzige Gemeinde des Landes mit einer mehrheitlichen Sámi-Bevölkerung. Wir bleiben weiter auf der Finnischen Seite der Tana und fahren bis Nuorgam. Dort stehen auf einmal ganz viele Autos am Straßenrand und die Menschen sind alle traditionell samisch gekleidet. Ein schönes Bild. Kurz dahinter: „Wilkommen in Norwegen!“ und auf einmal fühlt sich alles wieder etwas vertrauter an.
Varangerbotn ist das Tor zu Varangerhalbinsel: Der arktische Norden und die wohl schönste Küstenstraße des Nordens warten auf uns: Sonne, Meer, schroffe Felsen und bunte Holzhäuser. Am Straßenrand, Felder voller rot-leuchtender Blumen, die mir gänzlich unbekannt sind. Von weitem sehen wir die Nesseby Kirke, die auf einer kleinen Landzunge Wind und Wetter trotzt und auch den 2. Weltkrieg unbeschadet überstanden hat. Das kommt schon fast einem Wunder gleich, da hier fast kein Gebäude zu finden, das vor 1945 erbaut wurde. Die deutsche Wehrmacht hat auf Varanger, entsprechend der Taktik der „verbrannten Erde“, bei Ihrem Rückzug vor den Russen, keinen Stein auf dem anderen gelassen. Warum die Nesseby Kirke davon verschont blieb, ist bis heute ein Rätsel. Leider ist sie verschlossen und so machen wir uns nach ein paar Fotos wieder auf den Weg.
In Vadsø erfüllen wir die Camperpflichten um Ver- und Entsorgung und suchen uns anschließend einen Stellplatz auf der Halbinsel Ekkerøy. Kleine, bunte Holzhäuschen und ein breiter Sandstrand, der schon fast karibisch anmutet. Mittlerweile leben nur noch 30 von früher 300 Menschen in dieser Einsamkeit. Die Menschen in Ekkerøy führten ein hartes Leben, geprägt von Wind, Kälte und Sturm. Der Fischfang gehörte zu den Haupteinnahmequellen. Als die deutsche Wehrmacht Ekkerøy ab 1941 als Aufmarschgebiet für seinen Russlandfeldzug besetzte und hier zahlreiche Häuser, Bunker, Munitionsdepots und Stellungen in die Landschaft baute, war es mit der Ruhe vorbei. Selbst eine kleine Eisenbahn wurde gebaut. 1944 kam dann die Nachricht, dass die Russen die Front bei Kirkenes durchbrochen haben und die Deutschen ergriffen die Flucht. Immerhin setzten sie keine Häuser mehr in Brand und so zeigt Ekkerøy heute noch einen Ausschnitt aus dem Leben vor dem zweiten Weltkrieg. Und obwohl unsere Generation nichts mit diesem Krieg zu tun hatte, kommt angesichts dem, was die Deutschen hier getrieben haben, ein wenig Demut auf. Eine Achterbahn der Gefühle!
Vor uns breitet sich die Barentssee aus und über uns kreisen die Möwen. Hier lässt es sich aushalten. Was wir hier wollen und warum die Insel wortwörtlich „einen Vogel“ hat, erfahrt ihr dann morgen. Bis dahin könnt ihr ja mal nach Polarlichtern und Rentieren Ausschau halten.
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